Sophie Richter und Rouven Gommers zeigen ein Plakat aus ihren Schulungsunterlagen
Sophie Richter und Rouven Gommers zeigen ein Plakat aus ihren Schulungsunterlagen
© Grafik: OneLineMan.com/Adobe Stock
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Veränderungs­impulse setzen bei rechtsorientierten Jugendlichen

Die Friedenshort-Mitarbeiter Sophie Richter (AH Wildweg) und Rouven Gommers (WG Niederschelden) haben jüngst eine Trainer-Ausbildung zum Thema »Veränderungsimpulse setzen bei rechtsorientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen«, kurz VIR, absolviert.

VIR ist laut Veranstalter ein Qualifizierungskonzept für Personen, die beruflich oder ehrenamtlich mit rechtsorientierten Jugendlichen oder jungen Erwachsenen in Kontakt sind. Angesprochen werden Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in einer Phase der Annäherung an rechtsextremistische Cliquen, Organisationen oder Parteien befinden. In einem Gespräch mit Redakteurin Christina Hohmann aus dem Öffentlichkeitsreferat erzählten Sophie Richter und Rouven Gommers, was sie aus der Fortbildung mitgenommen haben, bei der unter anderem auch ein Szene-­Aussteiger von seinen Erfahrungen erzählt hat.

Was war ausschlaggebend für die Teilnahme an der Weiterbildung? Habt ihr im Vorhinein bereits Erfahrungen mit rechtsorientierten Jugendlichen gemacht?
Rouven: Berührungspunkte gab es bisher noch keine, aber die Thematik ist sehr präsent, denn sie betrifft oft unsere Zielgruppe. Die rechtsextremen Gruppierungen schauen nämlich meistens auf schwächere Kinder.

Was genau beinhaltet das VIR-Konzept bzw. die motivierende Gesprächsführung?
Sophie: Ein wichtiges Schlagwort ist hier das sogenannte Tür-und-Angel-Gespräch, also kurze Interventionen von zum Beispiel zehn Minuten, in Phasen, in denen eine lange Beratung noch keinen Sinn machen würde. Die Interventionen können spontan im Gruppenalltag passieren.
Rouven: Das Konzept der motivierenden Gesprächsführung kommt aus der Suchtberatung. Es geht hier um das Setzen von Impulsen in kurzen Gesprächen.

Welche Impulse können das sein?
Sophie: Wir setzen am Anfang an, es geht darum, erst mal ins Gespräch zu kommen, ohne jemanden zu verurteilen, und darum, eine Vertrauensbasis aufzubauen.
Rouven: Die Szene sucht sich junge Menschen, die vorher keine oder wenig Wertschätzung erfahren haben. Es handelt sich oft um Außenseiter oder Jugendliche aus sozial schwächeren Familien. Sie finden dort ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie aus ihrer Familie vielleicht so nicht kennen. Wir können diesen jungen Menschen in kurzen Gesprächen vermitteln: Du bist so akzeptiert, wie du bist. Du bist auch jemand ohne die Szene und ich interessiere mich für dich.
Sophie: Es gibt keine vorgefertigten Sätze, die man einfach so 1 : 1 anwenden kann. Die Impulse sind ganz individuell. Letztendlich geht es darum, neugierig und offen zu sein und eine Beziehung zu dem Kind oder Jugendlichen aufzubauen.

Welche Anzeichen gibt es, dass sich junge Menschen nach rechts orientieren?
Rouven: Es ist schwer, einen Überblick zu behalten, denn es hat sich in der Szene viel verändert. Zum Beispiel im Bereich Musik: Mittlerweile ist da alles vertreten, von Rock bis Hip Hop. Die Jugendlichen hören oft ja einfach Lieder, ohne die Texte zu kennen oder zu verstehen. Sie werden so vor allem über Emotionen erreicht. In den letzten Jahren ist durch die neueren Medien eine riesige Bandbreite entstanden, junge Menschen zu erreichen. Die Szene hat zum Beispiel auch Hip-Hop-Influencer.

Eine Möglichkeit wäre also, mit den Kindern und Jugendlichen die Liedtexte gemeinsam durchzugehen?
Rouven: Ja. Und wir müssen ganz genau hinhören, damit man überhaupt auf diese Texte stößt.
Sophie: Wir haben in der Schulung auch verschiedene Symbole erläutert bekommen, die die Szene benutzt, beispielsweise auf T-Shirts. Die Symbole werden oft leicht abgewandelt, so dass sie nicht mehr verboten sind. Und auf den ersten Blick würde man sie oft gar nicht als ein rechtsextremes Symbol erkennen. Das heißt, dass man auch immer neugierig sein und sich fragen muss: Was ist das eigentlich, was ich hier sehe? Wir sind super gut von den Experten angeleitet worden und sie haben uns jede Menge Material zur Verfügung gestellt, das wir aus einem passwortgeschützten Bereich abrufen können.
Rouven: Mit diesem Wissen kann man präventiv arbeiten. Für uns geht es ja darum, die Tendenzen festzustellen, dass sich der Jugendliche zu der Szene hingezogen fühlt. Es gibt einen Unterschied zwischen denjenigen, die bereits so erzogen wurden, und denjenigen, die erst später in Berührung mit der Szene kommen. Schwierig wird es, wenn sie so erzogen wurden. Für Aussteiger gibt es dann weiterführende Programme, da ist Netzwerkarbeit wichtig.

Was war besonders eindrücklich?
Rouven: Beeindruckend war die Geschichte des Aussteigers, also zu erfahren, wie so etwas enden kann und was da wirklich passiert. Aber auch zu lernen, welche Symbole es gibt, welche Musik und welche Medien die Szene nutzt und womit sie ausgestattet ist. Ich fand es gut, Skills [Handwerkszeug] zu bekommen, die man weiter­geben kann.
Sophie: Für mich war auch die Aussteigergeschichte eindrücklich und all die Aspekte, die sich in der Szene verbinden. Ich fand es aber auch spannend, dass manchmal ein Satz so viel ausmachen kann und es nicht immer ­direkt ein ganzes Projekt sein muss. Also einfach zuhören und Respekt zeigen und zum Nachdenken anregen. Wir konnten ganz gut sehen, dass man dafür nicht unbedingt eine umfassende Ausbildung benötigt, sondern dass es manchmal reicht, die richtigen Fragen zu stellen und den Gesprächsfaden nach drei bis vier Tagen noch mal aufzugreifen.

Wie geht es nun weiter?
Sophie: Die Idee ist, dass wir andere Kollegen aus dem Friedenshort ausbilden und schulen. Es handelt sich um ein Tandemprojekt, das heißt, wir sind immer Zweier-Teams.
Rouven: Schön ist die Möglichkeit, dass wir für die Schulung der anderen Mitarbeiter auch einen Aussteiger anfragen können.
Sophie: Wir hoffen, dass wir den Mitarbeitenden demnächst etwas anbieten können – in der Corona-Zeit war dies bisher leider noch nicht möglich.

Vielen Dank für das Gespräch!

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