Monika Greibaum bei der Leitungstagung in Tostedt 2012 – hier mit Carmen Louis (Einrichtung Northeim)
Monika Greibaum bei der Leitungstagung in Tostedt 2012 – hier mit Carmen Louis (Einrichtung Northeim)
Im Frühjahr und Sommer grünt es in der Einrichtung Tostedt
Im Frühjahr und Sommer grünt es in der Einrichtung Tostedt
Beim Jubiläum „75 Jahre Einrichtung Tostedt“ stellte sich Monika Greibaum den Fragen von Öffentlichkeitsreferent Henning Siebel
Beim Jubiläum „75 Jahre Einrichtung Tostedt“ stellte sich Monika Greibaum den Fragen von Öffentlichkeitsreferent Henning Siebel

Früher war nicht alles besser – oder doch?

Erstellt von Monika Greibaum |

Monika Greibaum blickt zurück auf 45 Jahre Tätigkeit im Friedenshort.

Tostedt. Es ist für mich, als wäre es gestern gewesen, als ich bei der „Heimat für Heimatlose“ – so hieß der Friedenshort damals – im Landkreis Harburg meine Arbeit begonnen habe. Noch minderjährig, die Ausbildung zur Kinderpflegerin abgeschlossen, war ich in Tostedt unter der Leitung von Friedenshort-Diakonissen in den 1970er Jahren eine der ersten „weltlichen“ Mitarbeiterinnen. Noch nicht so ganz erwachsen in den Augen der Schwestern. Ich musste mit auf dem Gelände wohnen und bekam meinen Haustürschlüssel erst an meinem 18. Geburtstag ausgehändigt.

Ich bin in die sozialpädagogische Arbeit zu einer Zeit eingestiegen, als Kindeswohlgefährdung, Therapie, individuelle Hilfeplanung, Leistungsbeschreibungen, befristete Arbeitsverträge, Entgelte, Tischvorlagen und Fachkräftemangel noch Fremdworte in der Heimerziehung waren. In den 1980er Jahren lebten Kinder nicht in der Jugendhilfe, sondern im „Heim“. In der Regel waren zwölf Kinder in einer Gruppe, die von vier Mitarbeitenden betreut wurden. Es gab ein Einzelzimmer in jeder Gruppe, ansonsten teilten sich zwei bis drei Kinder und Jugendliche ein Zimmer. Es war nicht verboten, in den Gruppenhäusern zu rauchen (das galt für Jugendliche ebenso wie für Mitarbeiter). Ab 22 Uhr waren die Wohngruppen telefonisch nicht mehr zu erreichen, da der Zivildienstleistende dann schlafen durfte und die Telefonvermittlung beendet war. Die Versorgung erfolgte über eine heimeigene Küche. Jeden Sonntag gab es für die Kinder eine Portion Nussnougatcreme und für die Mitarbeitenden eine Filtertüte mit „echtem“ Kaffee. Alle Gruppen hatten gleiche Bettwäsche, Handtücher, Vorhänge, Möbel und gleiches Geschirr. War ein Fahrzeug vonnöten, so musste es in der Hausmeisterei Tage vorher „bestellt“ werden. Die freie Kapazität in den Gruppen war Kriterium zur Unterbringung der Kinder und Jugendlichen, unabhängig von Alter und Vorgeschichte. Die Verweildauer endete mit der Volljährigkeit. Kontakte zu Eltern waren eher die Seltenheit.

45 Jahre später beende ich meine pädagogische Laufbahn bei der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort, von der ich immer als meine „berufliche Heimat“ gesprochen habe. Ich habe in dieser Zeit meine Ausbildung zur Erzieherin gemacht sowie mich berufsbegleitend zur Heilpädagogin und zur Kinderschutzfachkraft weitergebildet. Anfangs habe ich in Wohngruppen gearbeitet, war Gruppenleitung, später Bereichsleitung und bin vor zwei Jahren wieder zur Basisarbeit als Gruppenleitung in die Kindergruppe zurückgekehrt. Ich habe die Veränderungen und Umstrukturierungen in der Einrichtung Tostedt begleitet und konnte diese als Bereichsleitung viele Jahre aktiv mitgestalten. In dieser Zeit habe ich viele Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern kennengelernt. Auch habe ich in den letzten Jahren ehemalige Betreute wiedergesehen, deren Kinder inzwischen in den gleichen Wohngruppen leben wie sie selbst zuvor. Und sie berichten, dass es früher, als sie dort lebten, ganz anders war – aber besser?

Bei den Mitarbeitenden, die ich im Laufe der Zeit kennen gelernt habe, konnte ich mich manchmal als Berufsanfängerin wiederentdecken: junge Pädagoginnen und Pädagogen, die mit Freude, Humor, Engagement, Respekt und Einfühlungsvermögen den Kindern und Jugendlichen begegnen. Insbesondere die letzten beiden Jahre in der Kindergruppe haben mir einmal mehr gezeigt, wie unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen pädagogischen Voraussetzungen und unterschiedlichen Sichtweisen zu einem WIR zusammenwachsen können, um kleinen Menschen getreu unserem Leitbild „Dem Leben Zukunft“ einen vorübergehenden, sicheren Lebensraum zu schaffen. Mitarbeitende, die ihre Stärken in die Arbeit einbringen und deren Schwächen von anderen nicht bewertet werden, da diese einfach zum Menschsein dazu gehören. Ich werde Euch vermissen!

War denn nun früher alles besser als heute?

Nein! Es war anders.

Aber an dem „Früher“ bin ich stetig gewachsen. An Erfahrungen, Erkenntnissen und vor allem am Alter und einer gewissen Gelassenheit. Ich habe so manches berufliche Hoch und Tief durchlebt und daraus gelernt – wenn auch manchmal erst im Nachhinein. Ich war teils wütend und frustriert, wusste nicht immer die Lösung für jedes Problem. Aber ich hatte immer Spaß an der Arbeit und den täglichen Herausforderungen und habe mit meinen Möglichkeiten etwas bewirken können. Ich habe Anerkennung erfahren, habe Freunde über das Berufliche hinausgefunden und sage DANKE an ALLE, die mich auf meinem Weg begleitet haben.

Die Jugendhilfe hat sich verändert und ist inzwischen in unserer Gesellschaft anerkannt. Dazu waren Umbrüche und Menschen nötig, die ihre Visionen hatten und sich für die Belange von jungen Menschen stark gemacht haben. Kinder und Jugendliche bekommen passgenaue Hilfen und die Verweildauer hat sich deutlich verringert. Junge Menschen werden gehört, ernst genommen und können ihre Meinung im geschützten Rahmen frei äußern.

Ich möchte allen Mut machen, die erst am Anfang ihres beruflichen Werdeganges im Friedenshort und in der pädagogischen Arbeit stehen: Seien Sie authentisch, setzen Sie sich für Ihre Ideen ein, vertreten Sie Ihre Meinung, bleiben Sie sich treu und machen Sie den Arbeitsplatz zu dem, was er ist: Ihrem Arbeitsplatz! Vielleicht wird er für den einen oder die andere irgendwann auch zur „beruflichen Heimat“.

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